• Alben, die ich 2021 gut fand

    Una Rosa von Xenia Rubinos

    “Did My Best” fräste seinen Hook zusammen mit Xenia Rubinos Namen tief in mein Gedächtnis, trotz der unbändigen Sperrigkeit des Songs, der eigentlich keinen klassischen Hook hat. Sperrig und unbändig klingt auch das ganze Album und trotzdem, oder gerade deswegen, gräbt es sich eben in Ohr, Kopf und Herz. Manchmal muss Pop eben auch genau das richtige kleine bisschen anstrengend sein. Durch Reibung entsteht schließlich Wärme.

    Yellow von Emma-Jean Thackray

    “Open your eyes before you open your mouth”, singt Emma-Jean Thackray nicht nur in der ersten Zeile des absoluten Bangers “Say Something”, sondern auch ein Satz, den man jeder zweiten Internet-Nutzerin ans Herz legen möchte. So unverschämt lässig grooven, funken und jazzen dann auch die restlichen life advices auf Yellow vor sich hin: “Be yellow, be mellow, be kind to your fellow humans.”

    Night Charm by Monkoora

    Vom den glitzernden Piano-Wellen in “Bloom” über die zwischen verzerrt und clean wechselnden Gitarrenakkorde in “Night Charm” bis zum über Beats gesprochenen “Raspberry Love” – dieses Album kratzt eine Stelle, die mich seit Jahren gejuckt hat. Um genau zu sein, seit ich zuletzt eine vergeichbar charmant lowfiigen Genre-Achterbahn bestieg. Das war eine CD von The Spores am Merchstand von irgendeinem Konzert irgendeiner anderen Band die nicht halb so interessant war. 2022 hör ich sicher noch ein paar mal Monkoora.

    Underglam von Justice Cow

    Im Jahr 2021 scheint guter Pop vor allem drei Gemeinsamkeiten zu haben: Er wird von Frauen gemacht, in ihren Schlafzimmern produziert und drittens gibt es eigentlich keine Gemeinsamkeiten. Pop klingt mal so, mal so, meistens völlig anders, aber auf jeden Fall immer häufiger anders als früher oft. Jessica Kion kenne ich wie viele vermutlich aus der Musician-YouTube-Bubble um Adam Neely. Eigentlich sollte man sie 2021 für gute Popsongs kennen.

    Show Me Heaven von White Ring

    Wenn der Himmel ein leiernder Synthesizer, eine verhuschte Gesangsstimme und ein mechanisch-monotoner Beat sind, dann wird dieses Album schon im ersten Song seinem Titel gerecht. Stellenweise sanfter als auf ihrem auch schon wieder zehn Jahre alten Debüt Black Earth That Made Me vermögen White Ring immernoch mit ihren hypnotischen Tracks einzulullen, die manchmal fast schon in Shoegaze-Territorium abschweifen. Zumindest, wenn die Lautstärke hoch genug ist.

    Promises von Floating Points, Pharoah Sanders und dem London Symphony Orchestra

    Der am härtesten Rockende Song aller Zeiten ist, wenn ihr mich fragt, “You’ve Got To Have Freedom” von Pharoah Sanders. Auf der Kollaboration mit dem Produzenten Floating Points schlägt der Saxophonist ganz andere Töne an als in dem Song, über den ich ihn das erste mal hörte. Der magische, mystische, minimalistische Reihe von “Movements” lassen die Zeit für die Dauer des Hörens mindestens verlangsamen, wenn nicht sogar ganz anhalten. Einatmen. Ausatmen.

    I Lie Here Buried With My Rings And My Dresses von Backxwash

    “The purpose of pain is to get our attention that something is wrong” wird im Introtrack zum Mantra, übereinandergeschichtet bis man nichts mehr versteht, außer, dass Schmerz dazu da ist, uns aufmerksam zu machen. Die Musik von Ashanti Mutinta klingt als würden Death Grips plötzlich Hyperpop machen, unterstrichen durch Features von Ada Rook und clipping. Das ist nicht nur akustisch, sondern auch emotional ein Crash, der Hörerinnen mit einer leichten Gehirnerschütterung zurücklässt. Immer übersteuert irgendwas, gewollt oder ungewollt, wer weiß und wen interessiert das überhaupt. Aufmerksam macht das Album auf jeden Fall.

    Jubilee von Japanese Breakfast

    Dass sich Michelle Zauner auf ihrem dritten Album noch weiter vom vertrauten Dreampop-Sound des Debüts entfernt, kostete mich Anfangs etwas Überwindung. Old Hörgewohnheiten die hard, immerhin habe ich Psychopomp und Soft Sounds from Another Planet viel, sehr viel gehört und war zutiefst vertraut mit Text und Ton. Hier nun sind die musikalischen Einflüsse breiter gestreut. Nach ein paar Durchläufen bin ich dank Songs wie “Paprika”, “Posing in Bondage” und “Tactics” ein drittes mal hin und weg. Hoffentlich macht mir Omicron keinen Strich durch die Rechnung, in diesem Jahr ein zweites mal auch live hin und weg zu sein.

    Morning Tsunami von Hante

    Irgendwann spülte mir Bandcamp das Album von Hélène de Thoury in die Empfehlungen. Nicht per Algorhithmus, sondern von Menschenhand kuratiert. Für Gefühle der Melancholie ist auf dem Album nicht viel Zeit, nach ein paar Minuten Intro werden diese vom einer Welle aus Synthesizersounds und mechanischen Bassdrumrhythmen und Sechzehntelhihats weggeschwemmt. “Cold Wave” heißt das Sub-Sub-Genre laut Wikipedia. Passt.

    Ursgal von Enji

    Enjis Musik ist von einer wunderschönen Sanftheit, die ihre Stimme, wenn diese mitten auf dem Album plötzlich für mehrere Minuten ganz ohne Kontrabass und Gitarrenakkorde allein im Raum steht, zum lautesten Klang auf der Welt werden lässt. Zum Glück bin ich keine Musikkritikerin geworden, sonst müsste ich mich dafür schämen, kein besseres Adjektiv als “wunderschön” für diesen unerwartet warmen Herbstabend von einem Jazzalbum zu finden.

    Mimik von 65daysofstatic

    65daysofstatic, da war doch was. Ach, genau, die Band, die den Soundtrack für No Man’s Sky gemacht hat! Aus diesem Ausflug in die Welt der Videospiele ging Wreckage Systems hervor; ein computergenerierter Livestream, der die Aufnahmen der Band zerstückelt und neu zusammensetzt. Dass das auf den immernoch altmodisch von Menschenhand kuratierten und gemixten Songs, die daraus in diesem Jahr hervorgegangen sind, so gut funktioniert, liegt sicher nicht am Computer allein.

  • Designerdroge

    Wenn von Computerspielabhängigkeit die Rede ist, dann denkt man (ja, gib’s zu, bestimmt auch du) zunächst an World of Warcraft und den Sog einer Onlinecommunity, oder an Farmville, das uns so lange motiviert, wie wir uns monetarisieren lassen, oder vielleicht sogar an das urniedliche Animal Crossing, das uns wie ein Tamagotchi ein schlechtes Gewissen macht, wenn wir mal drei Tage was besseres zu tun haben als im virtuellen Dorf vorbeizuschauen.

    Wir denken eher nicht an wirklich klug designte Indiespiele.

    Threes ist ein wirklich ausgesprochen klug designtes Indiespiel, vielleicht das klügste aller mobilen Puzzleschiebekombinationsvarianten. Diese Tatsache dürfte den meisten Spielerinnen entgangen sein, weil die meisten von euch nur kostenlose Klone wie 2048 gespielt haben. Das Original stammt von Asher Vollmer, Greg Wohlwend und Jimmy Hinson.

    In seinem Review für Eurogamer beschreibt Mark Sorrell es voller Bewunderung als “die barbarische Macht der Sucht”, die ihn immer wieder in das Spiel hineinzieht. Threes sei “Nikotin und Soulfood zugleich, großartig und tödlich, eine Spielmaschine.” Sorrell bewertet diese tödliche Spielmaschine mit zehn von zehn Punkten. Er muss sich auskennen, denn beruflich macht er “accessible mobile F2P MMO games”, unter Anwendung von “behavioural psychology and behavioural economics insight to make our games as enjoyable and profitable as possible”.

    Ich bin Nichtraucher, aber ungefähr so wie Threes stelle ich mir Nikotinabhängigkeit tastsächlich vor. Vielleicht ist mein Verhältnis zu Threes auch mit meinem ungesund unkontrollierten Koffeinkonsum vergleichbar. Es ist schon muscle memory, vor Stress angesichts des in Echtzeit stattfindenden Endes der Welt zitternd in der Tasche nach dem Handy zu greifen um schnell in der Corona-Warn-App die neuesten Inzidenzzahlen zu checken und dann hoch swipen, runter, runter, tap, starte ich eine neue Runde und habe vergessen was ich vorher machen wollte. Ah, beruhigend.

    Ich bin natürlich nicht wirklich süchtig nach dem wirklich klug designten Indiespiel Threes. Nein, wirklich, ich kann jederzeit aufhören! Als könnte man abhängig werden von dem Gefühl mit diesen unbeschreiblich sanften Animationen kleine Zahlenblöcke ineinanderzuschieben, als hätte ein Mobilegame die Macht, mein eher zur Dyskalkulie neigendes Gehirn so umzukonfigurieren, dass ich intuitiv mit Zahlen wie 48, 96, 192, 384 interagieren könnte. Wisst ihr wie schwer ich mir damals mit dem großen Einmaleins getan habe?

    Und ihr wollt mir ja wohl nicht unterstellen, dass dieses winzige Element des Zufalls in einem so durchdesignten Game, wenn am Ende einer fast schon verlorenen Partie die Chancen eins zu drei stehen, dass doch noch die rettende Zahl über den Rand des Spielfelds rutscht, mir einen Kick geben würde. In der kostenlosen Version wird das mit Werbung monetarisiert, die alle paar Runden eingeblendet wird. Willst du weiterspielen? Nach nur einem Spot geht’s weiter!

    Vor einiger Zeit hörte ich eine Episode der Ezra Klein Show, in der Autor Chris Baily angesichts der wachsenden Kritik an Aufmerksamkeitsraubenden sozialen Medien entgegnete, wir könnten ja wohl kaum wollen, dass die Apps die wir benutzen weniger engaging sind. Ja, doch, schon, vielleicht sollten wir das manchmal wollen. Vielleicht ist es manchmal einfach besser, die Impulskontrolle seiner Spielerinnen nicht zu sehr auf die Probe zu stellen.

    Threes ist bis ins letzte Detail perfekt darauf ausgelegt, dass ich weiterspiele. Jeder Swipe in diesem Spiel fühlt sich gut an, bis zu dem Moment, wenn ich bemerke, dass ich schon wieder zwei Straßenblöcke weit nur auf dieses wirklich ausgesprochen klug designte Spiel geschaut habe. Ich bewundere Threes für seine Eleganz und Klugheit, aber am Ende muss ich mich doch fragen: Was ist das genau wert, wenn das Ergebnis so obsessive Neigungen auslöst, die sich auch noch gut monetarisieren lassen?

    Jedenfalls habe ich Threes jetzt von meinem Handy gelöscht. Ist einfach besser für mich.

subscribe via RSS